Die ungewöhnliche Textqualität dieser Bibel muss sie zu einem geschätzten, gesuchten und philologisch ständig nachgefeiltem Exemplar gemacht haben. Wenn es nicht einen späten Besitzvermerk gäbe, wäre der Aufenthalt der Handschrift im Friaul nicht dokumentiert, und man hätte sich ihre Geschichte vorstellen müssen, so wie ihre Geschichte nördlich der Alpen. Der Band, der in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in einem gut ausgestatteten anglonormannischen (vermutlich eher normannischen als englischen, nach der Schrift zu schließen) Skriptorium entstand, gelangte mit der Sammlung des Edelmanns Henri du Cambout, Herzog von Coislin, Pair von Frankreich und Erzbischof von Metz, in die Pariser Nationalbibliothek, die dieser 1732 Saint Germain de Près schenkte. Das vorletzte Bl. 328v der Handschrift, auf der sich lose zahlreiche sonderbare Anmerkungen drängen, liefert die bedeutungsvollsten Hinweise, anhand derer versucht werden kann, die frühere Reise des Bandes nachzuvollziehen. Die älteste Anmerkung kann auf die Mitte des 12. Jahrhunderts datiert werden und bezieht sich auf die Stadt Ardres im heutigen Pas de Calais, was die Annahme stützt, dass das Kloster, der die Handschrift gehörte, in jenem Gebiet in Nordfrankreich gesucht werden muss. Ein späterer zeitlicher Hinweis auf das Pontifikat des Franzosen Simon de Brion, der 1281 in Viterbo zum Papst gewählt wurde und 1285 in Perugia starb (wo er auch begraben wurde), scheint der älteren Geschichte der Handschrift eine brüske Wendung in Richtung Mittelitalien zu geben. Ein Besitzvermerk aus dem 14. Jahrhundert (auch auf fol. 328v) bescheinigt den Aufenthalt der Handschrift im Friaul: «Liber hic est capituli Utinensis ex dono per ser olim Iohannem de Gumbertinis, patriarchalis aule notarium et scribam». Die Wahrhaftigkeit der Notiz, die die Schenkung jener Bibel durch Patriarchalkanzler Giovanni Gubertini an das Domkapitel Udine vermerkt, wird in einer anderen zeitgleichen Notiz bestätigt, in der auf fol. 329v zu lesen ist: «Liber hic biblie est Iohannis de Gumbertinis | patriarchalis aule notarii atque scribe». Auf welchen Wegen die Handschrift in der Moderne dann nach Nordfrankreich gelangte, kann momentan unmöglich gesagt werden.