Das Gesangbuch enthält Prozessionsgesänge (teilweise auch mit Lesungen und Gebeten) für die im Mittelalter häufig stattfindenden Prozessionen. Bis zum XII. Jh. wurden diese Gesänge normalerweise in das Graduale und die Antiphonarien eingefügt. Erst später entwickelte sich die Typologie des Prozessionsgesangbuches als eigenständiges Gesangbuch. Dieses kurz nach Mitte des XV. Jh. in schwarzer Mensuralnotation für die Kirche von Cividale geschriebene Gesangbuch enthält zahlreiche Bezugnahmen auf andere Kirchen in Cividale und auf die Prozessionswege durch die Straßen der mittelalterlichen Stadt. Seit mehr als einem Jahrhundert hat dieses Buch, zusammen mit dem Codex Cividaleses CII die Aufmerksamkeit von Musikwissenschaftlern und Theaterexperten geweckt. Das rege internationale Interesse betrifft vor allem die dramatischen Kompositionen mit stark theatralischer Valenz. Wie mehrfach hervorgehoben wurde gibt es in der Handschrift «für jeden Satz Anweisungen in Bezug auf Mimik und Gesten für die Schauspieler. In dieser Hinsicht ist es ein einzigartiges, historisch bedeutendes Dokument». Außerdem gibt es verschiedene Zeugnisse der einfachen archaischen Polyphonie, denen auch eine Konferenz gewidmet wurde (Petrobelli 1980), nach der die Studien sich vervielfältigten. Die in dieser Handschrift enthaltene Prozessionsliturgie hebt die zentrale Rolle des Patriarchen im lokalen Kirchenleben hervor: Klerus und Volk gehen diesem mit einem besonderen Gesang entgegen, dem Responsorium Indicabo tibi homo. In Cividale wurde das Responsorium gemäß den Anweisungen des Prozessionsgesangbuches CII, fol. 60r, vom Klerus gesungen: Incipit processio quando itur obviam domino pathriarca, et cum approximatur ei, clerus cantat responsorium.