- 14. Jh., zweites Viertel; Pergament; mm 270 × 205; ff. 2.
- Udine, Archivio di Stato, Fragment 110.
Auf einem Deckblatt für Notarprotokolle von Lorenzo di Domenico von Lovaria, Notar in Udine (1457-58), steht der Text des Tristan in Prosa, der der erfolgreichste Roman in der Langue d’oïl im gesamten Mittelalter war.
Der Tristan in Prosa, dessen erste Ausgabe auf das dritte Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts zurückreicht, ist der erfolgreichste Roman in der Langue d’oïl im gesamten Mittelalter. Er verarbeitet mit Hilfe einer Technik der Verschachtelung zahlreicher Episoden die Sage von Tristan und Isolde und ihrer gegenseitigen konfliktgeladenen Liebe, die durch die ungewollte Einnahme eines Liebestranks ausgelöst wurde, eine Geschichte, die schon in Frankreich in den Versen von Thomas d‘Angleterre und des Normannen Béroul herausragende Sänger gefunden hatte. Auch in Italien war der Tristan in Prosa der Artusroman, der am meisten im Umlauf war. Neben einer ersten Verbreitung in der Toskana stießen Tristans Abenteuer auch in Venetien auf ein großes Echo. In diesen weiten Rahmen reiht sich das Udineser Fragment ein, dessen Blätter als Deckblatt für Notarprotokolle von Lorenzo di Domenico von Lovaria, Notar in Udine (1457-58), dienten. Im Unterschied zu den anderen norditalienischen Exemplaren gehört das Fragment aus Udine zur selben Gruppe, zu der die westtoskanischen Handschriften gehören und von der auch der sog. venezianische Tristan abhängt. Die besondere sprachliche „facies“ des Fragments verweist auf einen Text, der ausgehend von einem älteren Exemplar vermutlich aus der Westtoskana letztendlich von den „scripta“ der französischen Texte beeinflusst wurde, die in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Norditalien, wahrscheinlich in Venetien, abgeschrieben wurden.