Auf die “Rubrica libri chori domini decani” (Liste der Lieder für die Messen einiger Heiliger: Thomas Becket, Florian, Cantius, Cantianus und Cantianilla …, fol. 2r), folgt das Graduale, welches Temporale und Sanctorale enthält. Es enthält auch Tropen (fol. 6r); Toten-Offizium, votiv und für verschiedene Anlässe (de sancta Maria, pro pace…); einige Alleluja-Verse (fol. 212r); Kyriale mit tropierten und mehrstimmigen Melodien und Gesängen (fol. 223r); Tropenrepertoire: Benedicamus Domino und Responsorium (fol. 247r-260v); Sequentiarium (fol. 261r-347v). Die Handschrift stammt aus der Zeit zwischen 13. und 14. Jh. Den Ursprung (Cividale) bestätigen das Datum des Weihefestes der Stiftskirche (1. Juli) und die besondere Reihenfolge der Allelujas des Gottesdienstes, die denen anderer lokaler Quellen entsprechen. Auf fol. 216v wird das Alleluja Felix corpus eingeführt, das während dem Gottesdienst zu Ehren der Muttergottes gesungen wird. Als Komponist wird der dominikanische Kardinal und Musiker Latino Malabranca († 1294) genannt: Istud alleluia fecit frater Latinus fratrum praedicatorum venerabilis cardinalis Hostiensis et Velletrensis episcopus. Im Repertorium der Allelujas von Cividale LVI gibt es interessante Melodien und zahlreiche Tropen, die die Alleluja-Melodie gänzlich aufgreifen. Sie sind leicht an ihrer Silbenform erkennbar, d.h. sie haben normalerweise nur eine einzige Note auf jeder Silbe, während die Abschnitte des originalen Allelujas melismatisch sind und auf einigen Silben mehrere Noten oder ganze Melismen aufweisen. Ein Verzeichnis der Handschrift erinnert an ein Detail der Ausführungspraxis: Die Trope wird von zwei Kantoren auf der Kanzel gesungen, welche in der Mitte des Chors steht, während die Allelujas von den Chorsängern gesungen werden (fol. 148r). Bemerkenswert ist außerdem die Variante Do Do (statt Si Si, die in den Allelujas und in den Parallelen der Tropen verwendet wird) in den Zellen 140 und 141 des Codex LXXIX: Die Erhebung des Grundtons bis zur Terz, statt bis zur Secunde (La Do anstelle von La Si) ist ein klares Zeichen für die Vertrautheit mit dem germanischen Dialekt, der die im Friaul und in Südtirol übermitteltem Melodien tief geprägt hat.